der weg und das ziel

was ist der weg? was das ziel? ist der weg das ziel oder das ziel das ziel? oder der weg im weg?

zuerst zum weg. ich laufe den schweizer abschnitt der via alpina von vaduz nach montreux. vielleicht verlängere ich bis genf. auf jeden fall quasi ein mal quer durch die schweiz. die nationale route 1 via alpina ist teil des gleichnamigen fernwanderwegnetzes von triest nach monaco. das sind 341 tagesetappen, die verschiedene kultur- und naturräume verbinden. initiiert wurde die via alpina durch den französischen verein gta (grand traversée des alpes), die von verschiedenen institutionen aus acht ländern umgesetzt wurde. darunter von den erfindern des gelben wegweisers, den schweizer wanderwegen. ziel war und ist, strukturschwache regionen und die alpine identität zu fördern. deshalb berücksichtigt die streckenführung politische, umweltrelevante und touristische aspekte. anders gesagt ist die route nicht immer ganz direkt, dafür lehrreich. für den anfang zumindest genügen mir aber die 390 km und 23’600 höhenmeter, die sich über 20 etappen in der schweiz verteilen. die für mich reizvollste zahl ist aber 14. nämlich die anzahl pässe auf die ich überquere. mal schauen ob die knie das auch so sehen.

hohtürli von der sac-hütte blüemlisalp, dem höchsten übergang der via alpina

und damit zum ziel. eigentlich geht es mir nicht um zahlen. ich will einfach für eine lange zeit nur rhythmisch einen fuss vor den andern setzen. dabei dinge be-gehen, er-gehen und aus-gehen. die dialektik des auf- und abstiegs geniessen. und natürlich auch das wortwörtliche high auf dem pass.

dieses zweckfreie wandern wurde erstmals vom italienischen dichter und geschichtenschreiber petrarca dokumentiert. an popularität gewann es während der aufklärung, wo sich das bürgertum durch dessen objektive beobachtung und niederschrift emanzipierte. und gar salonfähig wurde das wandern dann mit den romantikern. ihnen ging es nicht um gesellschaftliche oder politische observation, sondern der zeitepoche entsprechend darum, in der natur einen spiegel des lebens zu finden. oder um es noch etwas romantischer zu formulieren: durch einsamkeit den eigenen, inneren kosmos weiter zu entdecken.

die romantiker sind diejenigen, die das bild des wanderns bis heute prägen. und ungefähr zumindest, entspricht es auch meinem übergeordneten ziel des gehens: physisch viele schritte nach vorne zu tun und dabei mental einen schritt zurückzutreten. in das jetzt. aus dem zukunftsorientierten menschenrennen, in dem das gehen viel zu langsam ist. damit meine ich nicht carpe-diem-mässig leben – sonst würde ich wohl den weg gegen das ziel eintauschen, mir die über 2’000 höhenmeter auf- und abstieg pro tag mit meinem 11 kg rucksack ersparen und figurativ gesprochen am strassenrand party machen. auch das ziel ist das ziel. der weg ist das ziel im sinne des genusses des seins und nicht nur des ergebnisses. und zusammen ermöglichen sie orientierung auf der basis der gegenwart – dem material aus dem wirksame zukunftspläne gemacht sind.

5 Antworten auf “der weg und das ziel”

  1. „physisch viele schritte nach vorne zu tun und dabei mental einen schritt zurückzutreten. in das jetzt. aus dem zukunftsorientierten menschenrennen, in dem das gehen viel zu langsam ist“ schreibt die Bloggerin und in diesem Zusammenhang, worin einen Bezug zum Buddhismus eigentlich naheliegend wäre, outet sich die Schreiberin überraschend als Romantikerin; oder mindestens Sympathisantin. Dies hatte mich dazu veranlasst, sich die Frage zu stellen, warum ich mich in das Menschenrennen begeben. Vielleicht ist bei mir die Antwort eher psychologisch; ich reihe mich mit den vielen Männern, die nach Anerkennung streben, weil es ihnen als Kind gefehlt hat, ein. Damit sind wir bei Freud; nicht so romantisch. Ein Antrieb zum Menschenrennen bei mir ist jedoch auch den Wunsch, etwas zum Besseren zu gestalten; was vielleicht romantisch ist, nicht aber im Sinne der Bewegung im 19. Jahrhundert. Was jedoch nicht heisst, dass eine Auszeit davon nicht gut tun würde…. Alles Gute zur Schreiterin; Weiter mit einem Fuss vorm anderen!

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    1. vielen dank für das teilen der gedanken! es freut mich, dass die worte zum nachdenken anregen! auch ihre aussagen haben bei mir gedanken angestossen! zuerst aber noch zwei sätze zur romantik:

      ein bezug zum buddhismus würde meiner einstellung eher entsprechen. die struktur des textes beachtend, die den ursprung des zweckfreien wanderns thematisiert, erschien mir dieser ebenfalls zutreffende aspekt der romantik jedoch passender.

      in bezug auf das zwischenmenschliche rennen finde ich die folgenden worte von alan watts treffend: „all sensible people begin in life with two fundamental presuppositions. you are not going to improve the world, and you are not going to improve yourself. you are, just what you are. and once you have accepted that situation, you have an enormous amount of energy available to do things that can be done. and everybody else looking at you from an external point of view will say, ‘my god, how much so-and-so has improved.’” das leben des seins impliziert quasi fortschritt.

      meiner meinung nach lässt sich dies auch auf das (damit verbundene) zeitliche menschenrennen (ist man mit dem kindergarten fertig kommt man in die erste und dann zweite klasse und so weiter. irgendwann ist man im arbeitsleben und muss diese quote und jenes ziel erreichen. und die ganze zeit ist dieses grossartige ding im kommen, der erfolg für den man arbeitet. irgendwann realisiert man dass man dies erreicht hat – und dass so ziemlich alles beim alten bleibt) übertragen. denn nur jetzt können wir leben. ich finde die musik hier ein anschauliches beispiel: ziel ist nicht die letzte note, nur weil das stück dort endet – der sinn der musik ist das musizieren. genauso beim tanzen. nur weil der tanz an einem bestimmten ort endet, zielt man nicht auf diesen ab. das ist übrigens auch ein punkt der mich an der via alpina angesprochen hat – es ist nicht der direkteste weg; die streckenführung berücksichtigt beispielsweise gesellschaftliche und umweltrelevante aspekte und erlaubt diese schritt für schritt zu (er)leben.

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      1. Das Nicht-Mehr-Schreitende bildet den Übergang von Petrarca zum Buddhismus mittels der Romantik. Das Wieder-in-den-Niederungen spielt Mix ’n‘ Match mit Weltanschauungen souverän. Faszinierend!

        Zu Alan Watts kann ich nur sagen, für diejenige, die das Glück hatten, „sensible“ erzogen bzw. aufgewachsen zu werden, mag seine Ansicht wohl stimmen. Für diejenige, die nicht „sensible“ aufgewachsen sind, gelten andere Massstäbe, weil im Schlamm stehenbleiben will man nicht.

        Der Bezug zum Musizieren oder zum Tanzen gefällt mir ganz gut. Dies im Alltag. Strebt man jedoch nicht tagesübergreifend, beispielsweise in der Bachelorarbeit, auf etwas Grösseres? Siehe Thomas S. Kuhn, „Structure of Scientific Revolutions“ https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_S._Kuhn

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      2. danke für die inputs. ich stimme mit ihnen überein, dass dieses bewusstsein subjektiv ist und sich auch im verlaufe des eigenen lebens wandelt. genau weil man ‚ist‘. deshalb ist es meiner auffassung nach unmöglich, im schlamm stehenzubleiben – weil das ’sein‘ für menschen mit lieben und leiden ein ‚werden‘ und ‚wollen‘ impliziert. veränderung und streben sind inhärente eigenschaft des lebensprozesses. und das knüpft am nächsten punkt an: zum einen ist der weg das ziel (tanzen / musizieren / gehen). zum anderen, und mit vorherigem verknüpft, ist auch das ziel das ziel (tanz / musikstück / via alpina), also etwas übergreifendes. das ist meine perspektive – wir können das gerne auch mal persönlich diskutieren 🙂

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      3. Tanzen vs./und Tanz diskutieren: Sehr gerne! Und: das Analoge betr. Musik auch, weil für zehn Jahre in meinem Jugend das Musizieren sehr wichtig war 🙂

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